Was ist Schematherapie

Dieser kurzen Darstellung liegt das Buch „Schematherapie“ von Jeffrey Young, dem Gründer der Schematherapie, und Kollegen zugrunde. Außerdem beziehen wir uns auf „Praxis der Schematherapie“ von Eckhard Roediger und zitieren aus „Schematherapeutisch basierte Supervision“ von Angelika Neumann und Kollegen.

Schematherapie ist eine integrative Psychotherapie. Sie erweitert das kognitiv verhaltenstherapeutische Modell und Vorgehen mit Ansätzen aus der Bindungstheorie, der Gestalttherapie, den Ego-state Therapien, emotionsfokussierten und psychoanalytischen Auffassungen. Insbesondere der Fokus auf den biographischen Erfahrungen, die Betonung der emotionalen Prozesse und der therapeutischen Beziehung erscheint aus verhaltenstherapeutischer Perspektive - mit traditionell eher lerntheoretischer, kognitiver und störungsspezifischer Schwerpunktsetzung - sehr bereichernd.

Warum Schematherapie

Anlass für die Entwicklung der Schematherapie war die Erfahrung, dass rein kognitiv verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen bei Menschen mit Störungen im emotionalen Selbstmanagement und bei interaktionellen Beziehungsstörungen häufig von diesen nicht angenommen werden können oder nicht dauerhaft oder gar nicht zu einer ausreichenden Besserung führen.

Menschen mit solchen Schwierigkeiten erfüllen häufig die für eine kognitive Verhaltenstherapie notwendigen seelischen Voraussetzungen nicht. Sie können die vorgeschlagenen Behandlungsstrategien nicht einfach aufgreifen und umsetzen. Ihre Therapiemotivation wird durch maladaptive Bewältigungsstrategien (s. unten) ihrer Probleme sehr erschwert und das Aufgreifen von Unterstützung durch den Therapeuten ist aufgrund von Schwierigkeiten, vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehungen zuzulassen kaum möglich.

In solchen Fällen ist es notwendig, einen Weg zu finden, dysfunktionale Bewältigungsstile zu umgehen und trotz der vorhandenen interaktionellen Schwierigkeiten der Patienten, eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufbauen zu können.

Dafür bietet die Schematherapie ein, wie sich mittlerweile auch empirisch gezeigt hat, sehr erfolgreiches, für die Patienten gut verständliches Erklärungsmodell und Interventionen.

Was sind Schemata

Als einen grundlegenden Baustein für die Konzeptualisierung des psychischen Geschehens wählen Young et al. (2005) den Begriff des Schemas. Der Schemabegriff hat in der Psychologie eine lange Historie und wurde von verschiedenen Theoretikern verwendet.

Young et al. verstehen unter Schema „eine abstrakte Repräsentation der besonderen Charakteristika eines Ereignisses“ (Young et al. 2005, S.35). Schemata können als gelernte komplexe Erlebensweisen verstanden werden, die frühe Beziehungserfahrungen repräsentieren und – in Wechselwirkung mit Temperamentsfaktoren - durch diese entwickelt wurden. Sie bilden den Hintergrund, vor dem alle späteren Erfahrungen wahrgenommen, bewertet und erlebt werden.

Schemata können adaptiv oder maladaptiv sein. Als zugrunde liegende Ursache für das Problemverhalten des Patienten werden maladaptive Schemata angesehen. Young beschreibt 18 frühe maladaptive Schemata, die er aus der Beobachtung seiner Patienten kategorisiert hat. Sie sind nach Young et al. (2005) aufgrund der Verletzung der Grundbedürfnisse des Kindes entstanden.

Orientiert an den Grundbedürfnissen postuliert Young 5 verschieden inhaltliche „Domänen“, auf die sich die 18 Schemata aufteilen (im Folgenden ist jeweils ein Beispielitem aus dem Young Schema Questionnaire (YSQ-S3, Berbalk et al., 2008) zur besseren Veranschaulichung aufgeführt:

Domäne I: Abgetrenntheit und Ablehnung: Ursächlich ist ein durch die Bezugspersonen frustriertes Bindungsbedürfnis des Kindes. Infolgedessen entstand die Erwartung, dass Bedürfnisse nach sicherer und stabiler Bindung, Halt und Geborgenheit nicht erfüllt werden.

  1. Verlassenheit/ Instabilität: Beinhaltet das Gefühl, von Bezugspersonen nicht wahrgenommen, nicht willkommen geheißen und im Stich gelassen worden zu sein (Beispielitem YSQ-S3: „Es war niemand da, der mir Wärme, Halt und Aufmerksamkeit gegeben hat“).
  2. Misstrauen/Missbrauch: Es besteht die Erwartung, in Beziehungen missbraucht, verletzt oder manipuliert zu werden („Ich habe das Gefühl, dass andere Menschen mich ausnutzen“).
  3. Entbehrung von Zuwendung, Schutz oder Empathie („Größtenteils hatte ich niemanden, der mir wirklich zuhörte, mich verstand oder auf meine Gefühle und Bedürfnisse eingegangen ist“).
  4. Unzulänglichkeit/Scham ist charakterisiert durch ein grundlegendes Gefühl unerwünscht, minderwertig oder unfähig zu sein („Ich finde mich nicht liebenswert“).
  5. Soziale Isolierung/Entfremdung einhaltet, sich zu einer sozialen Gruppierung oder der Gesellschaft nicht zugehörig und sich isoliert zu fühlen („Ich bin von Grund auf anders als andere Menschen“).

Domäne II: Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung: Ursächlich ist ein durch die Eltern frustriertes Bedürfnis nach Autonomie und Eigenständigkeit. Diese Frustration bedingte das Selbstbild, lebensuntüchtig und unselbständig zu sein und ist gekennzeichnet durch ein mangelndes Vertrauen in eigene Fähigkeiten und Kompetenzen.

  1. Abhängigkeit / Inkompetenz beinhaltet eine emotionale Abhängigkeit und Orientierung an einem starken Gegenüber („Ich fühle mich nicht fähig, meinen Alltag selbständig zu bestehen“).
  2. Anfälligkeit für Schädigungen ist charakterisiert durch Sorgen und Befürchtungen in Bezug auf den eigenen Körper, die eigene Psyche oder Katastrophen in der Umwelt („Ich habe das Gefühl, jeden Moment kann eine Katastrophe eintreten“).
  3. Verstrickung / Unentwickeltes Selbst: Die Personen sind extrem eng mit nahen Bezugspersonen verbunden einhergehend mit nicht entwickelter eigener Identität („Die Ablösung von meinen Eltern habe ich schlechter geschafft, als andere Menschen meines Alters“).
  4. Erfolglosigkeit /Versagen: Hierbei dominiert das Gefühl, im Vergleich mit anderen hinsichtlich wichtiger Lebensaufgaben zu versagen oder erfolglos zu sein („Ich bin für meine Arbeit nicht so begabt wie die meisten anderen“).

Domäne III: Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen wird begünstigt durch mangelnde Grenzsetzung durch die Eltern, die zu wenig Orientierung oder Führung boten und vom Kind keine Verantwortungsübernahme forderten.

  1. Anspruchshaltung /Grandiosität: Dieses Schema entsteht aufgrund eines permissiven Erziehungsstils der Eltern, die ihr Kind idealisierten. Es besteht in dem Gefühl, besonders und anderen überlegen zu sein („Ich bin etwas Besonderes und sollte nicht den gleichen Einschränkungen unterliegen wie die anderen“).
  2. Unzureichende Selbstkontrolle: Der Betroffene kann wenig Frustrationen ertragen, ist einseitig lustorientiert, wenig anstrengungsbereit und kann diesbezügliche Impulse kaum selbst steuern („Ich schaffe es nicht, mich zusammenzureißen, um Routine- oder andere langweilige Aufgaben zu erledigen“).

Domäne IV: Übertriebene Außenorientierung und Fremdbezogenheit: steht im Zusammenhang mit einem durch die Bezugspersonen frustrierten Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung. Das Kind erhielt Anerkennung nur bei außergewöhnlichen Leistungen und lernte, sich in extremem Maß auf die Bedürfnisse des Gegenübers zu konzentrieren, um dessen Erwartungen zu erfüllen.

  1. Unterwerfung: Dieses Schema ist gekennzeichnet durch ein Hintenanstellen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse zugunsten des Gegenübers (“In Beziehungen lasse ich gewöhnlich den Partner / die Partnerin bestimmen“).
  2. Selbstaufopferung: ist charakterisiert durch übermäßiges Bemühen, die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen, um Aufmerksamkeit zu erhalten („Ich bin ein guter Mensch, der mehr an die anderen denkt, als an mich selbst“).
  3. Streben nach Anerkennung und Zustimmung: Das Selbstwerterleben ist extrem auf die Bestätigung und Anerkennung durch andere ausgerichtet („Meine Leistungen sind dann am meisten wert, wenn es andere bemerken“).

Domäne V: Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit: Ursächlich ist ein rigider strenger Erziehungsstil der Eltern, welche einseitig Pflichterfüllung, Leistungsbereitschaft und Perfektionismus vom Kind forderten und das Bedürfnis nach Freiheit (im Sinne von Lustorientierung, Spaß und Spiel) frustrierten. Der Betroffene ist durch dementsprechende strenge verinnerlichte Regeln charakterisiert.

  1. Negativität / Pessimismus: ist charakterisiert durch Überbetonung von negativen Lebensaspekten. Permanente Sorge und Unsicherheit sind kennzeichnend („Wenn etwas Gutes passiert, mache ich mir Sorgen, dass wahrscheinlich etwas Schlechtes folgen wird.“)
  2. Emotionale Gehemmtheit: Der Betroffene leidet unter starker Hemmung eigener triebhafter oder lustbezogener Impulse („Ich bin zu befangen, um anderen positive Gefühle zu zeigen“).
  3. Überhöhte Standards: Diese Dimension ist dadurch gekennzeichnet, hochgesteckte moralische, perfektionistische Ansprüche an sich selbst zu haben („Ich fühle mich unter ständigem Druck, voran zu kommen und Dinge zu erledigen“).
  4. Strafneigung: Ist charakterisiert durch die Überzeugung, dass Menschen für ihre Fehler bestraft werden sollten („Wenn ich einen Fehler mache, verdiene ich es, bestraft zu werden“).

Die beiden ersten drei Kategorien stellen die direkte, unkonditionale Reaktion auf eine Verletzung von Grundbedürfnissen durch die Bezugspersonen dar. Die beiden letzten Kategorien sind konditional entstanden, d.h. sie stellen bereits einen Bewältigungsversuch des Kindes auf Schemaebene im Umgang mit den Bezugspersonen dar (Young et al., 2005).

Das Modusmodell

Vor allem bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen erwies sich ein therapeutisches Vorgehen allein auf der Basis von Schemata und Bewältigungsreaktionen als schwierig. Die Aktivität zahlreicher Schemata, schnelle Wechsel zwischen ihnen einhergehend mit Stimmungswechseln und/oder ein sehr stark ausgeprägter Bewältigungsstil von Vermeidung oder Überkompensation, der den Patienten eine Selbstreflexion ihrer Schemata sehr erschwert, führten zur Entwicklung eines zusätzlichen Konzeptes, dem Modusmodell (Young et al., 2005).

Das Modusmodell erleichtert es, das prozessuale Geschehen von wechselnden und teilweise aktivierten Schemata durch Zusammenfassung in funktionale Kategorien (Selbst- oder Ich-Anteile) zu ordnen und zu vereinfachen. Damit wird das oft schnell und springend stattfindende Erleben und interaktionelle Geschehen sowohl für den Therapeuten als auch den Patienten besser verständlich. Das Modusmodell erleichtert es damit, einerseits die Komplexität des psychischen Geschehens abzubilden und andererseits, die Therapie bildlich, erlebnisorientiert und damit auch für den Patienten gut verständlich zu gestalten.

Die Aufteilung der Person in verschiedene Selbst- oder Ich-Anteile hat wie auch der Schema- Begriff eine lange wissenschaftliche Tradition (vgl. Überblick bei Peichl, 2007). Young unterscheidet in seinem Modusmodell

  • Kind-Modi
  • Maladaptive Bewältigungsmodi
  • Abwertende, Überfordernde Innere Eltern-Modi
  • Modus Gesunder Erwachsener

Mit Modus beschreibt Young typische aktuell vorherrschende Erlebenszustände und die dazugehörigen Verhaltenstendenzen. Verursacht wird der jeweilige Modus durch das Zusammenwirken einer beliebigen Anzahl aktivierter oder teilaktivierter, überdauernd vorhandener Schemata und Bewältigungsreaktionen.

Modi sind zwar auf dahinterliegende Schemata zurückzuführen, sie sind der Wahrnehmung jedoch leichter zugänglich, Bezüge zu biographischen Erfahrungen sind unmittelbar herstellbar und die emotionale Bearbeitung und Veränderung ist direkt möglich. Daher setzt sich in der schematherapeutischen Praxis die Arbeit mit dem Modus-Modell zunehmend durch.

Inhaltlich werden folgende Gruppen von Modi benannt:

Kind-Modi

Es werden folgende Kind-Modi beschrieben:

  • verletzbares Kind (mit den Emotionen Traurigkeit, Angst, Hilflosigkeit),
  • wütendes Kind (mit den Emotionen Wut, Ekel)
  • undiszipliniert-impulsives Kind (mit dem Emotionen Wut, Ekel).
  • glückliches Kind (mit dem Gefühl der Freude) wird dem adaptiven Modus zugeordnet, dessen Grundbedürfnisse befriedigt werden.

Das Erleben im Kind-Modus zeigt sich in primären bzw. Basisemotionen.

Emotionen wie Stolz, Schuld, Scham, Verachtung werden hingegen als „sekundäre Emotionen“ definiert, die als Reaktion auf Elternverhalten entstanden sind. Sie werden den Bewältigungsmodi zugeordnet. In die sekundären Emotionen gehen sozial vermittelte Bewertungen ein. Diese müssen daher erst erlernt werden.

Innere-Eltern Modi

In den Dysfunktionalen Innere-Eltern-Modi drücken sich alle abwertenden und überfordernden negativen automatischen Gedanken und Handlungsimpulse aus. Sie werden gewissermaßen als verinnerlichte Stimmen frustrierender früherer Bezugspersonen bzw. im psychodynamischen Sinn als deren „Introjekt“ verstanden. Die Innere-Eltern-Modi können entweder nach innen oder nach außen gerichtet sein und die Richtung oft unvermittelt wechseln (Roediger 2016).

Die Darstellung als Modus ermöglich es dem Pat., die Berechtigung und Funktionalität dieser Bewertungen durch die Einnahme einer beobachtenden und reflektierenden Außenperspektive in Frage zu stellen.

Maladaptive Bewältigungsmodi

Maladaptive Bewältigungsmodi sind der Versuch, das Erleben der Grundbedürfnisbedrohung bzw. der dadurch entstandenen maladaptiven Schemata, die in den abwertenden, überfordernden Inneren-Elternmodi und den verletzbaren, wütenden oder undiszipliniert impulsiven Kindmodi zum Ausdruck kommen, abzuwenden.

Sie stellten in der Entstehungszeit die damals bestmöglichen Reaktionen dar, verhindern aber eine grundsätzliche Neubewertung und Veränderung der zugrundeliegenden dysfunktionalen Schemata und damit eine grundsätzliche Abschwächung der Beschwerden des Patienten.

Entsprechend ihrer beziehungsregulierenden interpersonellen Funktion werden sie im Wesentlichen eingeteilt in:

  • Unterordnender Modus (bereitwilliger Erdulder / angepasster Aufopferer). Der unterordnende Modus dient der Herstellung von Bindung.
  • Gefühlsvermeidende Modi treten in Form von: distanziertem Beschützer (passive Vermeidung wie Tagträumen), distanziertem Selbstberuhiger oder aggressivem Beschützer (aktive Vermeidung) auf. Auf der Grundbedürfnisebene dienen sie der Unlustvermeidung bzw. auch dem Lustgewinn sowie dem Selbstwertschutz.
  • Überkompensierende Modi dienen der Selbstwerterhöhung oder dem Gewinn von Kontrolle. Sie sind grob unterscheidbar in: Selbsterhöher/Wichtigtuer; Pöbel-/Angreifermodus; Manipulierer/Trickser/Lügner; Zerstörer-/Killermodus; Zwanghafter/Wahnhafter Kontrolleur.

Der Integrierte Modus oder Der gesunde Erwachsene

Er repräsentiert wertschätzende, liebevolle, wohlwollende, vernunftsorientierte und selbstreflexive Einstellungen und ermöglicht eine achtsame Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und deren nachhaltige und realistische Verwirklichung.

Der gesunde Erwachsene validiert die Gefühle des Kind-Modus. Den verletzten Anteilen wird tröstend und beruhigend begegnet. Wütende Anteile werden eingegrenzt und die darin wirkende Energie in funktionales Selbstbehauptungsverhalten überführt.

Die entscheidende Frage ist stets: „Was braucht das Kind wirklich?“

Mit dieser Frage werden die (nicht erfüllten) Grundbedürfnisse des Kindes offengelegt und können jetzt gezielt befriedigt werden.

Maladaptive Bewältigungsmodi sollen so ersetzt werden.